Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt von Jesmyn Ward

Inhalt

Jojo und Kayla leben bei ihren Großeltern Mam und Pop. Ihre Mutter Leonie ist drogenabhängig und unfähig, sich um sie zu kümmern, und Mam ist krebskrank, weswegen Pop versucht, für die Kinder zu sorgen. Dann erhält die Familie Nachricht, dass Michael, der weiße Vater von Leonies Kindern, aus dem Gefängnis entlassen wird. Zusammen mit ihren Kindern und einer Freundin macht Leonie sich auf den Weg – doch die Reise ist alles andere als gewöhnlich, scheint sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu vereinen …

Meine Meinung

Ich hatte von dem englischen Original dieses Buches – Sing, Unburied, Sing – schon viel Gutes gehört, weswegen ich mich sehr freute, die deutsche Ausgabe vom Kunstmann Verlag als Rezensionsexemplar zu erhalten. Darüber hinaus ist diesen Monat Black History Month, was mich anregte, mal einen Blick auf mein Regal zu werfen – und festzustellen, dass ich bisher zu wenig von schwarzen Autor*innen gelesen habe. Das möchte ich verstärkt ändern, und ich freue mich, dass Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt den Anfang machen darf.
Was mich auch im Nachhinein besonders an dem Buch fasziniert, ist die Tatsache, wie viele Geschichten Jesmyn Ward auf diesen dreihundert Seiten erzählt. Das Buch ist in drei verschiedenen Perspektiven verfasst – die von Jojo, Leonie und des Jungen Richie, der schon länger nicht mehr unter den Lebenden weilt –, die alle mehr oder weniger in der Gegenwart verwurzelt sind. Und gerade durch diese Figuren und vielmehr noch durch die Art und Weise, wie sie verknüpft sind, werden noch so viele andere Dinge aufgedeckt. Da ist Jojo, dem Pop von seiner Vergangenheit erzählt; Leonie, die ihrem toten Bruder begegnet, wenn sie high ist, und Richie, der sich wie ein roter Faden durch alle Zeiten zieht. Es hat mich sehr beeindruckt, zu sehen, wie all diese Geschichten miteinander verknüpft werden, sich gegenseitig beeinflussen und für Schaden und Trauer gleichermaßen sorgen.
Letztlich war es auch gerade dieses Zwischenmenschliche, das mir unglaublich gut gefiel. Wie ich schon angedeutet habe, stecken in all diesen Geschichten eine unzählige Anzahl Konflikte, überspannt von dem größeren, teils schier übermächtigen, Konflikt des Rassismus, der die Familie bis in die Gegenwart begleitet und unter dem sie leidet. Da ist Leonie, die von Michaels Eltern abgelehnt wird, weil sie schwarz ist. Sie selbst ist unfähig, sich um ihre Kinder Jojo und Kayla zu kümmern. Pops Vergangenheit ist gezeichnet von einem grausamen Gefängnisaufenthalt, eine Geschichte, deren Ende Jojo zu Anfang des Buches noch nicht kennt. Mam wird immer mehr vom Krebs aufgefressen und ruft Hilflosigkeit in der Familie hervor. All das erzählt Jesmyn Ward ohne große Worte, ohne die Tatsachen direkt auszusprechen, schafft es aber gleichzeitig, das Subtile so deutlich zu machen, dass es mir als Leserin nur allzu schmerzlich bewusst wurde.
Leider war mein Lesevergnügen nicht uneingeschränkt – was jedoch ganz klar an meinen eigenen Präferenzen liegt. Das Buch arbeitet nämlich nach den ersten Kapiteln immer stärker mit magischem Realismus, was ich, wie ich festgestellt habe, einfach nicht gerne lese und letztendlich ein Element darstellte, mit dem ich nicht gerechnet habe. Wenn ich Fantasy lesen will, dann kann ich mich voll und ganz darauf einstellen, wenn ich aber nur gewisse magische oder übernatürliche Elemente in der Geschichte vorfinde, ohne ein wirkliches System dahinter, kämpfe ich persönlich verstärkt mit Verständnisproblemen – und so erging es mir auch im Fall von Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt. Da ebendieser Aspekt gegen Ende hin verstärkt vorkommt, nahm mein Verständnis ab; die Subtilität, die ich noch bewunderte, wurde zu einer Abstraktion, der ich schlichtweg nicht folgen konnte. Und das war einfach sehr ärgerlich, weil ich das Gefühl hatte, schlichtweg unfähig zu sein, der Geschichte weiter zu folgen. Aber wie gesagt: Das liegt ganz eindeutig an meinem Geschmack, und hätte ich gewusst, dass das Buch dieses Element enthält, hätte ich vermutlich gar nicht erst danach gegriffen.
・Ergänzung (26.2.18): Es hat sich gezeigt, dass ich das Buch nicht in seiner Komplexität erfasst habe, indem ich die magischen Elemente bzw. Geister, auf die ich oben Bezug nehme, auf magischen Realismus reduzierte. Vielmehr sind sie ein Teil von der Kultur dieser Familie: „Dass all dies zugleich gültig sein kann, dass die Vorfahren, die Ungeborenen und die Lebenden einen Raum teilen, gehört zum Glauben der Yoruba in Nigeria. Darum der Titel: ‚Sing, Unburied, sing‘“, erläutert Frauke Meyer-Gosau in diesem Artikel. ・
Zuletzt solltet ihr vielleicht noch wissen, dass das Buch einige graphische Szenen enthält, insbesondere eine am Anfang, in welcher eine Ziege geschlachtet und das bis ins kleinste Detail beschrieben wird. Wenn ihr so etwas nicht lesen könnt oder wollt, ist das Buch vielleicht nichts für euch.
Letztendlich war Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt durchaus eine einzigartige Leseerfahrung, wenn auch nicht eine, die mir uneingeschränkt gefiel. Wenn euch die angesprochenen Aspekte interessieren, kann ich mir jedoch gut vorstellen, dass euch das Buch besser gefällt als mir.

Fazit

Besonders beeindruckt an Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt hat mich das Zwischenmenschliche und die Art und Weise, wie Jesmyn Ward eine unglaubliche Fülle an Geschichten auf diesen dreihundert Seiten erzählt. Leider arbeitet das Buch stark mit magischem Realismus, ein Element, mit dem ich nicht gerechnet habe, und das ich schlichtweg nicht gerne lese. Dennoch handelt es sich hierbei um ein sehr wichtiges Buch über Rassismus, Familiendynamiken und die Geister, die uns über die Jahre hinweg begleiten.
Vielen Dank an den Kunstmann Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt ⚬ übersetzt von Ulrike Becker ⚬ Hardcover: 304 Seiten ⚬ Kunstmann Verlag ⚬ Einzelband ⚬ 22€*

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