[Rezension] The Hate U Give – Angie Thomas

Inhalt

Die sechzehnjährige Starr lebt in zwei Welten: Garden Heights, einem verarmten Viertel, in dem sie aufgewachsen ist; und Williamson, eine Elite-Schule, wo sie eine von wenigen Schwarzen ist. Starrs Leben verändert sich radikal, als sie sieht, wie ihr bester Freund Khalil von einem weißen Polizisten erschossen wird. Bald ist Khalils Tod in allen Schlagzeilen, von vielen wird er als Drogendealer abgestempelt. Starr ist die einzige Zeugin. Doch ihre Worte könnten ihr Leben in Gefahr bringen…

Meine Meinung

Als ich The Hate U Give zum ersten Mal gelesen habe, brauchte ich zweieinhalb Tage dafür. Danach trug ich es bei Goodreads ein, verpasste dem Buch fünf Sterne, und tat zwei Stunden später etwas, das ich noch nie getan habe: Ich las es direkt noch einmal.
Beim zweiten Lesen liebte ich es noch mehr. Und, ganz im Ernst, ich habe jedes bisschen meiner Selbstbeherrschung zusammenkratzen müssen, um nicht noch ein drittes Mal damit anzufangen. The Hate U Give hat mir das Gefühl gegeben, bei jedem Lesen noch ein bisschen mehr zu entdecken, die Wichtigkeit des Buches noch stärker zu verinnerlichen. THUG ist das perfekte Beispiel für all die Dinge, die ich bei Young Adult Büchern lesen möchte, und ein Beispiel für die, von denen ich noch gar nicht wusste, dass ich sie lesen muss.
Zuallererst ist da natürlich Starr. Allein die Art und Weise, wie sie erzählt, ist einzigartig. Thomas‘ Schreibstil passt perfekt; sie redet nicht um den Brei herum und verschönt erst recht nichts. Wir erleben eine Starr, die zum zweiten Mal in ihren 16 Jahren den Mord eines schwarzen Kindes miterleben muss und sich von den Gräueln übergeben muss. Wir erleben eine Starr, die sich an die Schulter ihres Vaters anlehnt, weil er der Einzige ist, der ihr noch ein Gefühl von Sicherheit geben kann. Und wir erleben eine Starr, die realisiert, dass die Dinge, die sie zu sagen hat, sehr wohl wichtig sind.

A lump forms in my throat as the truth hits me. Hard. „That‘s why people are speaking out, huh? Because it won‘t change if we don‘t say something.“
„Exactly. We can‘t be silent.“
„So I can‘t be silent.“

So wie Starr Stück für Stück mehr begreift, realisierte auch ich während des Lesens immer wieder, was für Privilegien ich eigentlich habe. Dass diese viel größer sind als ich bisher geahnt habe. In THUG gibt es eine Szene, wo Starr, ihre Mutter und ihre Brüder beim Essen sitzen und man Schüsse hört. Die Familie zieht sich in einen Raum zurück, der keine Außenwand hat, um geschützt zu sein. Erschreckend war nicht (nur), dass sie sich in solch einer Situation befanden. Was mich am meisten schockierte, war die Normalität, die Ruhe, mit der sie mit dem Ganzen umgingen. Weil sie es gewohnt waren.
Aber auch wenn Starr die Protagonistin von THUG ist, so ist sie längst nicht die Einzige, deren Geschichte hier erzählt wird. Wir erfahren auch über die Geschichte von Starrs Onkel Carlos, der ebenfalls Polizist ist. In den drei Jahren, die Starrs Vater im Gefängnis verbrachte, ist er für Starr wie ein zweiter Vater geworden. Wir lernen aber auch mehr über Starrs Halbbruder Seven, der alles für seine Familie tun würde und daraufhin zwischen zwei Fronten steht. Selbst die ganzen Nachbarn in Garden Heights bekommen eigene Namen, Gesichter, Geschichten. Ich habe noch nie ein Jugendbuch gelesen, in dem ausnahmslos jeder Charakter detailliert ausgearbeitet war und sich nahtlos einfügte. Ich hatte das Gefühl, bei Starr zu sein, im Laden ihres Vaters zu stehen, das Loft ihres Freundes Chris zu betreten.

I used to tell him he was so pale he looked like a marshmallow. He hated that I compared him to food. I told him that‘s what he got for calling me caramel. It shut him up.

Stichwort: Chris. Ein weiterer Aspekt, den ich an THUG als Jugendbuch liebte: Unsere Protagonistin ist ausnahmsweise mal schon in einer Beziehung, als ihre Geschichte beginnt. Darüber hinaus ist Chris weiß, was mehrmals zu Konflikten zwischen den beiden führt. So fragt sich Starr, ob sie ihre Identität vernachlässigt, wenn sie mit Chris zusammen ist. Ob nicht jemand Weißes, Blondes, Reiches (ihre Worte) besser geeignet wäre. Chris wird nicht nur sehr lieb und authentisch dargestellt, sondern tritt auch regelmäßig in Fettnäpfchen und wird für sein „weißes Verhalten“ aufgezogen. Angie Thomas bringt vor allem bei ihm oft eine leichtere, humoristische Note rein.

„I swear, I don‘t understand white people. Breadcrumbs on macaroni, kissing dogs on the mouth—“
„Treating their dogs like kids,“ I add.
„Yeah!“ says DeVante. „Purposely doing shit that could kill them, like bungee jumping.“
„Calling Target ‚Tar-jay,‘ like that makes it fancier,“ says Seven.
„Fuck,“ Chris mutters. „That‘s what my mom calls it.“
Seven and I bust out laughing.

Was mich ebenfalls regelmäßig zum Schmunzeln brachte, war Starrs Familie, insbesondere ihre Eltern. Lisa und Maverick Carter erleben wir in allerlei Lebenslagen. Wir sehen sie streiten, sich gegen Starr „verschwören“, es wird selbst erzählt, wie sie sich kennenlernten. Starr nennt ihre Eltern an einem Punkt ihr „OTP“ (One True Pairing). Familie wird in THUG einfach großgeschrieben, ist immer präsent, und es wird fantastisch gemacht.
Die Themenvielfalt geht da noch weiter – auch alltäglicher Rassismus wird angesprochen. Eine „Freundin“ Starrs lässt immer wieder bedenkliche Dinge von sich. Nach Khalils Tod entscheidet sich ein Großteil von Starrs Schule, zu protestieren – um dem Unterricht zu entkommen, nicht wegen Khalil, da er ja eh „nur“ ein Thug war.

They act like I‘m the official representative of the black race and they owe me an explanation. I think I understand though. If I sit out a protest, I‘m making a statement, but if they sit out a protest, they look racist.

Denn zuletzt geht es in The Hate U Give um die Khalils. Um die Schwarzen, die in den letzten Jahren von weißen Polizisten erschossen wurden, obwohl sie keine Waffe bei sich trugen, geschweige denn eine Gefahr darstellten. Und, ja, es geht auch um die Khalils, die noch kommen werden. Starr formuliert es besser als ich es jemals könnte:

Yet I think it‘ll change one day. How? I don‘t know. When? I definitely don‘t know. Why? Because there will always be someone ready to fight. Maybe it‘s my turn.

The Hate U Give ist einer der besten YA-Romane, den ich jemals gelesen habe. Vor allem hat mir Angie Thomas eine Welt nahegebracht, die ich vorher so nicht kannte – vor der ich, ganz im Ernst, einen Großteil meines Lebens meine Augen verschlossen habe. Sie hat mir gezeigt, wie gut ich es habe, und mich fürchten lassen, was für idiotische Dinge ich Zeit meines Lebens von mir gegeben habe. All das hat sie in Starrs Geschichte gepackt, mit einer authentischen Erzählstimme, Charakteren, die ich unglaublich gerne kennenlernen würde, und Worten, die genau dort treffen, wo‘s wehtut.

Fazit

Ich habe es auf anderen Plattformen schon geschrieben, aber eigentlich brauche ich nicht viel mehr zu The Hate U Give sagen als: Wenn ihr 2017 nur ein einziges Buch lest, dann dieses. THUG begegnet all die hohen Erwartungen und übertrifft sie anschließend. Jetzt schon das wichtigste Buch des Jahres.

The Hate U Give ⚬ Hardcover: 464 Seiten ⚬ Balzer + Bray ⚬ Einzelband ⚬ aktuell 9,99€ ⚬ Kaufen?

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7 Kommentare

  1. Super tolle Rezension! Ich fand das Buch auch grandios und es wird sicher nicht das einzige Mal gewesen sein, dass ich es lese. Das Buch ist es definitiv wert, bei jeder Gelegenheit empfohlen zu werden und öffnet vielleicht noch der einen oder anderen Person die Augen 🙂

  2. Oh mann, vor dieser Rezension graut es mir ja auch noch… Keine Ahnung, wie ich meine Gedanken dazu in Worte fassen soll.

    Aber es ist auf jeden Fall gut zu wissen, dass es geht. Ich kann mich deinen Worten eigentlich nur anschließen–und würde das Buch nach der Rezension am liebsten auch gleich nochmal lesen 😀

    Liebe Grüße 🙂
    Aileen

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